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Bitte vs. Forderung – Was ist der Unterschied?

Ich möchte heute über die vierte Schlüsselunterscheidung der Gewaltfreien Kommunikation schreiben – Bitte statt Forderung. Eine ehrlich gemeinte Bitte ist für mich die größte Herausforderung in der Gewaltfreien Kommunikation. Warum das so ist, möchte ich dir in diesem Artikel näherbringen.

In dem Artikel “Bedingungslose Liebe” habe ich erklärt, wie wichtig es ist, zwischen Beobachten und Interpretieren zu unterscheiden. Der Artikel “Gefühle vs. Gedanken” beschreibt die zweite Schlüsselunterscheidung. Eine weitere wichtige Komponente in der Gewaltfreien Kommunikation sind die Bedürfnisse, welche ich im Artikel “Bedürfnisse erfüllen” erklärt habe. Was ist eine Bitte? Und was unterscheidet eine Bitte konkret von einer Forderung? Eine Bitte hat deutlich mehr Vorteile gegenüber einer Forderung. So viele Vorteile, die ich heute in diesem Artikel herausheben möchte.

Bevor du jetzt weiter liest, möchte ich dich bitten, kurz innezuhalten. Lass dir die eingangs gestellte Frage durch den Kopf gehen und notiere deine Ideen dazu.


Welche Arten von Bitten gibt es?

Die Beziehungsbitte

Bei der Beziehungsbitte geht es darum, meinem Gegenüber zu signalisieren, dass ich ihn verstehen will. Ich möchte mit ihm in Verbindung bleiben oder in eine Beziehung kommen. Für mich ist es in dieser Situation wichtig zu wissen, wie es meinem Gegenüber geht: “Wie geht es dir mit dem, was ich gesagt habe?” oder “Darf ich sagen, wie es mir dabei geht, wenn ich das höre?”

Es kann aber auch eine Bitte zum Verständnis sein: “Kannst du mir bitte sagen, was bei dir angekommen ist!” oder “Ich würde dir gerne mitteilen, wie ich es verstanden habe.”

Die Handlungsbitte

Bei einer Handlungsbitte schlage ich eine konkrete, jetzt erfüllbare Handlung vor. Wie das aussieht, erkläre ich weiter unten. Zuvor möchte ich noch ein paar andere Fragen beantworten.

Was zeichnet eine echte Bitte aus?

Dafür müssen wir zunächst einmal klarstellen, was eigentlich eine Bitte ist. Nur weil ein Satz, eine Frage das Wort “Bitte” enthält, ist es noch lange keine Bitte.

Ob es eine echte Bitte war, erschließt sich später an den Konsequenzen. An unserer Reaktion, wenn sie nicht erfüllt wird oder der Gebetene NEIN sagt.

Bei einer echten Bitte darf mein Gegenüber auch Nein sagen. Ohne, dass ich ihn strafe oder ihm sonst etwas vorhalte.

Quelle: Pixabay


Was meine ich damit?

Da dies oft in meinen Seminaren zur Gewaltfreien Kommunikation auftaucht, will ich ein Beispiel aus einer Partnerschaft oder ähnlichen, nahen Beziehungen nehmen.

Du kommst nach einen schweren Arbeitstag nach Hause und siehst, wie dein Freund, deine Freundin auf dem Sofa liegt und das angepatzte Geschirr herumsteht. Auch die Schuhe liegen im Raum verstreut und für dich herrscht Chaos! Du kannst aber nur entspannen, wenn es ordentlich für dich ist.

Jetzt bittest du deinen Partner/deine Partnerin: “Kannst du bitte deine Sachen wegräumen?”  Was wird erwidert? “NEIN mag nicht!”

Wie wird in so einer Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit deine Reaktion ausfallen?

Wenn ich an meine vergangenen und auch manchmal noch heutigen Reaktionen denke, dann waren sie meistens mit Ärger und Streit verbunden. Weil in mir die Erwartungshaltung vorhanden war, von meinem Gegenüber ein Ja zu hören. Dass meine Partnerin oder meine Söhne zum Wohle der Gemeinschaft etwas beitragen können. Sie wissen doch, dass mich das stört und machen es trotzdem! Wie gemein und rücksichtslos!

Ich habe jetzt ein bisschen übertrieben, aber ich glaube du weist, worauf ich hinaus will. Wenn du so reagierst, war es keine Bitte, sondern definitiv eine Forderung.

Genau das ist aber der Grund, warum die Bitte in der Haltung der Gewaltfreien Kommunikation für mich die herausforderndste aller Schlüsselunterscheidungen ist.

Zum einen die Freiheit, Nein zu sagen und zum anderen meine Erwartungshaltung.


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Wie wirkt sich eine Bitte auf das Ergebnis der Arbeit aus?

Wie sich eine echte Bitte auswirkt, konnte ich an meinem jüngsten Sohn, der noch bei mir wohnt, beobachten. Wenn ich ihn nur halbherzig bat, sein Zimmer aufzuräumen oder das Geschirr vom Tisch abzuräumen, dann machte er es auch nur zur Hälfte oder gar nicht. Diese Situation war für mich fordernd, aber es hat sich echt gelohnt. Ich will nicht sagen, dass es mir immer gelingt. Aber wenn, dann hat es eine ganz andere Qualität. Und auch die Arbeit wird von meinen Sohn ganz anders durchgeführt, wenn er merkt, dass es eine echte Bitte ist.

Wer seine Kinder schon mal zum Aufräumen unter Androhung von Strafen “gezwungen” hat, der weiß wovon ich rede. Ich habe nach zwei Minuten selber einen dicken Hals vor Ärger bekommen, weil diese Lustlosigkeit, etwas zu erledigen, mich in den Wahnsinn getrieben hat. Dabei waren das auch hier wieder nur meine Gedanken, meine Bewertungen und meine Erwartungshaltung. Ich erwartete mir, dass mein Sohn Freude hat, wenn er mich unterstützt. Noch dazu, wenn er es nicht freiwillig macht – was für ein Schwachsinn!

Ich bin für mich zum Entschluss gekommen, dass die Mithilfe meines Sohnes um einiges freudiger und genauer durchgeführt wird, wenn er merkt, dass es eine echte Bitte ist.  Mittlerweile spürt er den Unterschied zwischen Bitte und Forderung genau. Die Qualität des Ergebnisses ist viel höher. Die Zusammenarbeit ist intensiver und, was mir ganz wichtig ist: Wir bleiben in Verbindung.

Durch das richtige Bitten geschieht in letzter Zeit auch viel mehr aus der Freiwilligkeit heraus. Er weiß, was er zur Gemeinschaft beitragen kann und wie wichtig mir das ist. Das ist etwas, was mich sehr freut, weil viel Wert auf ein gutes Miteinander und gegenseitige Unterstützung lege.

Wie formuliere ich eine echte Bitte?

Quelle: Pixabay


Eine echte Bitte setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Sie beschreibt nichts anderes als das, was in mir gerade lebendig ist und wie mein Gegenüber mein Leben bereichern kann.

Abgesehen von der Struktur ist es wichtig das die Bitte nicht mehr als 40 Wörter enthält. Zum einem kann mein Gegenüber nicht länger den Fokus halten, er weiß dann nicht, um was es geht. Zum anderen kann es sich dann möglicherweise wie eine Entschuldigung für die Bitte anhören.

Die Gewaltfreie Kommunikation empfiehlt, die Bitte wie folgt zu äußern.

Mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen verbunden:

Was steckt hinter dieser Bitte und was löst es bei mir aus, wenn er mir diese Bitte erfüllt? Nehmen wir das oben genannte Beispiel her. Warum möchte ich, dass mein Partner zusammenräumt? Weil ich nach einem schweren Arbeitstag Ruhe benötige und mir das nur gelingt, wenn es für mich ordentlich ist. Es würde mich erleichtern, erfreuen oder welches Gefühl auch immer bei der Erfüllung der Bitte hochkommen mag.

Vorteil: Mein Gegenüber weiß, warum ich darum bitte!

Gefühle, Bedürfnisse

Quelle: Pixabay


Positiv formuliert:

Wir sprechen darüber, was wir wollen. Anstatt darüber, wir nicht wollen. Ein typisches Negativbeispiel: Du bist Beifahrer und es geht dir zu schnell. Anstatt zu sagen, was du willst, sagst du: “Fahre nicht so schnell! “Brems nicht immer so spät!” “Fahr nicht so dicht auf!”

Oder die Kinder sind zu laut und du schreist: “Könnt ihr bitte nicht so laut sein?” Das alles sind Bitten, die nicht positiv formuliert sind und noch dazu auch nicht konkret genug.

Vorteil: Mein Gegenüber weiß, was ich von ihm will!

Konkret:

Was heißt konkret? Wenn ich meine Kinder bitte, leiser Radio zu hören, werden sie nicht wissen, was für mich leise ist. Wenn ich sie aber bitte, die Musik in der Lautstärke 5 zu hören oder ich ihnen zeige, was ich damit meine, dann wird es konkret. Dann weis mein Kind ganz genau, was es zu tun hat.

Ein weiteres Beispiel: Früher, wenn ich meinem Sohn gesagt habe: “Räum bitte dein Zimmer auf”, hat er möglicherweise seine Socken und Pullover weggeräumt. Für ihn war es erledigt, nicht aber für mich.

Du darfst nicht davon ausgehen, dass wir alle unter der Vielzahl an Eigenschaftswörtern – leise, laut schnell, schön, langsam – dasselbe verstehen. Daher ist es gut, konkret zu sagen, was du wirklich willst.

Vorteil: Mein Gegenüber weiß, was ich von ihm will und wie er es mir erfüllen kann!

Machbar:

Eine Bitte sollte hier und jetzt erfüllbar sein. Also wenn ich meinen 14-jährigen Sohn bitte, morgen Präsident zu werden, wird er mir das nicht erfüllen können, auch wenn er wollte :-). Anderes Beispiel: Wenn ein geliebter Menschen mit seinem Leben gerade nicht klar kommt und ich ihm sage: “Nimm doch bitte dein Leben selber in die Hand!” wird dieser Mensch nicht wissen, was zu tun ist.

Vorteil: Mein Gegenüber kommt nicht in die Überforderung oder in die Selbstzweifel, wenn er es mir unbedingt erfüllen will aber nicht kann!

Quelle: Pixabay


Zusammengefasst sind die Vorteile einer konkreten Bitte:

  1. Die Qualität der Zusammenarbeit steigt. Weil ich mit meinem Gegenüber in Verbindung bleibe und auch auf seine Bedürfnisse eingehe.

  2. Die Qualität des Ergebnisses steigt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Handlung so durchgeführt, dass das Ergebnis dem entspricht, wie ich es mir vorgestellt habe. Denn zwischen Vorstellung und der richtigen Formulierung liegen oft Welten. 🙂

  3. Zeitersparnis. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es keine Nachbesprechungen oder Nacharbeiten geben, weil die Gebetene verstanden hat, was ich von ihr will und ich noch nachgefragt habe, wie es verstanden wurde.

Bevor du jetzt weiter liest: Versuche,  folgende Bitte wie beschrieben zu formulieren: Kannst du bitte deine Sachen wegräumen?


Wenn ich das angepatzte Geschirr im Wohnzimmer und die Schuhe sehe (Beobachtung) bin ich echt frustriert (Gefühl), weil ich nach diesem schweren Arbeitstag gerne Ruhe hätte und Entspannung (Bedürfnis) brauche und mir das nur gelingt, wenn es für mich ordentlich ist.

Kannst du bitte das Geschirr und die Schuhe wegräumen? (Handlungsbitte) Ich wäre echt erleichtert (Gefühl) und könnte wirklich entspannen und zur Ruhe (Bedürfnis) kommen. Wie ist das für dich? (Beziehungsbitte)

Doch was ist, obwohl machbar und konkret formuliert, trotzdem ein Nein kommt?

Wenn es dir gelingt dann hinterfrage das Nein. Denn wenn dein Gegenüber Nein sagt, ist das nichts anderes als ein Ja zu seinen Bedürfnissen. Beobachte dich selbst, wenn du bei einer Bitte Nein sagst. Welches Bedürfnis du dir dabei erfüllst. Genau so ist es auch bei deinem Gegenüber.

Mehr zum Thema folgt in einem anderen Artikel. Ich hoffe, dir wurde jetzt einiges klarer :).

Du möchtest diese Art der Kommunikation erlernen? Weil dir die Harmonie in der Partnerschaft oder mit deinen Kinder wichtig ist und du dich trotzdem ehrlich und authentisch ausdrücken willst? Dann lade ich dich herzlich zu einem meiner Seminare zur Gewaltfreien Kommunikation ein.

Alles Liebe, dein Mike von Rückkehr zum Frieden mit der Sprache des Seins!


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